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Shugyo

SHUGYO: HANDELN, NATÜRLICHKEIT, BEWUSST SEIN

Es ist nicht einfach Bedeutungen von Begriffen zu ergründen, wenn man nicht als Teil einer Kultur aufgewachsen ist. Worte und Redewendungen haben ihre eigene Geschichte, sind meist vielschichtig und haben nicht oft keinen Pedanten in einer anderen Sprache. Zudem leben, denken, fühlen und handeln Menschen sehr unterschiedlich. Rahmenbedingungen prägen im Grossen und Kleinen. Sprache ist eine Möglichkeit des Ausdrucks, die es ermöglicht abstrakt abzubilden und zu beschreiben. Shugyo findet wie vieles andere nicht nur im Kopf statt, es ereignet sich auf vielen Ebenen unseres Daseins. Im Augenblick aufgehen, trifft es vor unserem kulturellen Hintergrund ziemlich gut, aber wohl nicht vollständig. 

Vorab möchte ich meinen Definitionsversuch einfach mal so in den Raum stellen, der sich im Laufe der Zeit bestimmt noch einige Male ändern wird. Shugyo ist für mich ein Weg des unvoreingenommenen Lernens, bei dem nicht das sofortige Verstehen im Vordergrund steht. Es ist eine sehr offene Geisteshaltung, die weder bewertet noch beurteilt. Alles strömt ein, vieles davon unbewußt, ohne Filter. Das Ziel im Hier und Jetzt zu sein, natürlich verbunden zu handeln, ohne an ein perfektes Ergebnis zu denken, das irgendwo in er Zukunft liegen könnte und somit eine Illusion ist. Die gesamte individuelle Energie und Aufmerksamkeit fließt in das was wir gerade tun und wie gesagt, wir tun es weder gut noch schlecht, wir widmen uns lediglich mit all unseren Möglichkeiten und unserer Präsenz dem Augenblick des Schaffens und machen ihn dadurch ein Stück weit perfekter. 

Was ist „Shugyo“?

In alten Zeiten reiste ein Shugyosa zum Lernen herum, darüber findet man so einiges im Internet. Auch kann man die Bedeutung des Wortes aus seinen Silben herleiten. Beides werde ich hier nicht breittreten. Ich habe mich mit einigen Menschen über Shugyo unterhalten und bin dabei ungewollt in selbiges verfallen, weil ich mich intensiv damit beschäftigt habe. Shugyo passiert, wenn man sich etwas widmet und mit offenem Geist begegnet. Es ist ein natürlicher Prozess des Lernens und Erfahrens in Unvoreingenommenheit und einer gewissen Demut. Lernen hört auf, wenn man meint zu wissen. Wer seinen Speicher nicht in Frage stellt, driftet mehr und mehr in seine subjektive Realität ab. Reisen, insbesondere zu Fuß, bedeutet ständig neues zu erleben und neue Entscheidungen treffen zu müssen und wenn es nur ist nach links oder rechts abzubiegen.  

Unser Geist ist sehr "vielschichtig", wenn man das überhaupt so bezeichnen kann. Wir haben auf jeden Fall ein Bewußtsein, das wohl mehr oder weniger eine aktive Schnittstelle ist. Wir können Informationen aus unserem Gedächtnis abrufen, Neues über unsere Sinnesorgane oder auch Inspiration von außen hinzufügen und Kausalitäten, sprich unsere ureigene Realität erschaffen. Sobald wir "denken", lasten wir einen Teil aus, der uns dann bei der Wahrnehmung fehlt. Eine Grundregel des Zen ist: "Widme Dich genau einer Sache.", von Multitasking wird da nicht gesprochen. Anscheinend sind wir nicht wirklich fähig mehrere Sachen bewußt gleichzeitig zu tun, sondern arbeiten diese sequentiell in Abschnitten nacheinander ab - war wohl nix mit dem Multicore-Prozessor. Im Shugyo lernen wir, indem wir die aktuelle Situation, die Gegenwart ungehindert in uns strömen lassen.  Es ist eine aufgeschlossene Art des Lernens auf allen Bewusstseinsebenen, frei von egoistischen Illusionen - das Beste zu tun, ohne sich ein Ziel zu setzen. Demut öffnet unseren Geist für Inspiration, die nun durch Wiederholung neue Muster erzeugen kann, ohne dass wir es verstehen müssen.

Man lebt und existiert im Zen-Geist. Es ist eine Art „respektvolles Sein und Handeln, ohne Vorurteile und Selbstsucht, auf höchstmöglicher Bewusstseinsstufe in einem zeitlos verbundenen Geist-Körper-Zustand, um in der Gegenwart der Wahrheit nahe zu kommen, um in ihrer reinen Kausalität, im natürlichen Fluss der Dinge Perfektion zu erreichen.  Für jemanden, der anfängt, sich für etwas zu interessieren, ist es vielleicht nur "ein Prozess des Lernens auf höchstmöglichem Niveau der Konzentration. Für eine religiöse Person ist es vielleicht: „Gott drückt sich durch alles aus. Ich vertraue auf ihn als Teil der göttlichen Schöpfung und handle in jedem Moment nach seinem Willen.“ Für einen Zen-Mönch ist es keine Frage, es ist eine Antwort, ein natürliche Angelegenheit. Für einen Künstler ist es die unendliche Art, sich durch sein Schaffen auszudrücken. Für einen Krieger ist es der Weg auf dem Weg selbst, die tiefere Bedeutung der täglichen Praxis und am Ende eine Frage von Leben oder Tod. Im Aikido ist es ein wesentlicher Bestandteil des Trainings. Kanshu Sunadomari definiert "Das Leben ist Shugyo, ein Prozess des Trainings und der Verfeinerung des Selbst, der erst mit unserem Tod endet." (Enlightment through Aikido, 2004, S. 65) und Morihei Ueshiba, der Gründer des Aikido, erklärt Shugyo als "Schmieden". Ein Prozess, bei dem man vom bewussten, analytischen oder grundlegenden Training zu einem natürlicheren, instinktiveren Verständnis der Bewegung übergeht, was unweigerlich notwendig ist, um die Natur des Aikido wirklich zu verstehen. Es ist eine Entmachtung des Ego, eine ein Prozess, bei dem die Grenzen zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein aufgehoben werden.

Die meisten von uns haben Shugyo erlebt. Shugyo passiert hier und jetzt. Shugyo heißt "automatisch richtig" handeln. Shugyo heißt lernen durch tun. Shugyo ist frei von Vorurteilen. Shugyo passiert in der Ewigkeit (Zeitlosigkeit) des Augenblicks. Shugyo hört nie auf. Shugyo ist Zen. Shugyo entsteht durch Verbindung von Körper und Geist auf natürliche Art und Weise. Shugyo ist Verbindung mit der Quelle allen Seins. Shugyo ist ein Ausdruck der Schöpfung, des Universums an sich. Shugyo ist Manifestion von Geistigem in Materiellem (Himmel und Erde). Shugyo ist spirituelle Entwicklung. Shugyo basiert auf Demut und Respekt. Shugyo ist der Weg zur Perfektion. Shugyo ist der Weg zur Wahrheit. Shugyo wird vom Herzen angetrieben. Shugyo ist Selbstentwicklung. Shugyo ist eine Reise. Shugyo ist ohne subjektive Bewertung des eigenen Tuns. Shugyo öffnet den Geist. Shugyo ist ohne Emotionen. Shugyo ist Liebe zum Detail. Shugyo ist Aiki. Shugyo macht uns zu besseren Menschen. Shugyo ist die Bereitschaft einen Weg zu gehen, um ein Ziel anzupeilen und sich diesem dadurch anzunähern. Shugyo ist Glaube und Vertrauen.

Für mich bedeutet Shugyo, im gegenwärtigen Moment zu leben, bewusst, intensiv und frei von Vorurteilen zu sein, auf sein Herz zu hören und respektvoll und demütig zu handeln. Unvollkommenheit ist etwas Natürliches. Wer sie akzeptiert wird wohl perfekter als die, welche meinen zu wissen und zu können.
Es ist egal, was wir tun, alles kann dein Lehrer sein. Menschen mit einem starken Ego tun sich wohl schwerer aus "Fehlern" zu lernen, weil man durch die Selbstbefangenheit, weniger "sieht", "reflektiert" und akzeptiert. Demut und Respekt öffnen den Geist und können wie ein „Katalysator“ im Lernprozess wirken, die Fähigkeit zur Selbstreflexion erhöhen.

Vielleicht ist Selbsterkenntnis das Interessanteste im Leben, das es ein Selbst gibt und wir nicht dieses argumentierende Ding, das Ego genannt wird, sind. Buddha sagte einst: „Wir sind das, was wir denken, mit unseren Gedanken erschaffen wir unsere Welt“. Fangen wir an, über das Denken nachzudenken. Im gegenwärtigen Moment sammeln wir Informationen über unsere Sinne und speichern sie als Datenmuster in unserem Gedächtnis. Unser Verstand vergleicht die aktuelle Situation mit unseren Erfahrungen und generiert eine Verhaltensempfehlung. Wenn dieser subjektive Prozess der Bewertung, Beurteilung und Verurteilung, der Erwartungen hervorruft, nicht reflektiert wird, bleiben wir im logischen Käfig unseres Ego gefangen. Shugyo findet auf der Ebene des Selbst statt, es geht weit über die Grenzen unseres Ego hinaus. Definiere Dich neu!

Shugyo befreit sozusagen von Illusionen. In Kombination mit Misogi und Musubi kann man seiner eigenen Existent, sich selbst und der Wahrheit ein gutes Stück näher kommen.  Vielen Dank an alle, die mich inspiriert haben, auf meinem Weg begleiten und noch werden.

Bodo Gewinner (Fukushidoin H.A.A.)

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